Künstliche Intelligenz in der Zahnmedizin
KONTEXT
Das English Oxford Living Dictionary definiert künstliche Intelligenz (KI) als „die Theorie und die Entwicklung von Computersystemen, die in der Lage sind, Aufgaben zu übernehmen, für die im Normalfall menschliche Intelligenz erforderlich ist. Dazu zählen visuelle Wahrnehmung, Spracherkennung, Entscheidungsfindungen und Übersetzungen zwischen unterschiedlichen Sprachen“ [1]
Die meisten KI-Anwendungen nutzen maschinelles Lernen. Hierbei wird ein Trainingsdatensatz wiederholt analysiert, um innewohnende Muster zu erkennen und zu lernen, eine bestimmte Aufgabenstellung zu lösen, dazu gehören das Erkennen von Objekten auf Bildern (z. B. kariöse Zahnläsionen auf einem Röntgenbild) oder die Vorhersage von Ereignissen auf der Basis numerischer Daten (z. B. zu erwartender Zahnverlust auf Grundlage historischer und klinischer Patientendaten). Die Leistung von KI-Anwendungen wird typischerweise anhand von ungesehenen Testdaten evaluiert.
Zurzeit kommen KI-Anwendungen in zahlreichen Gebieten zum Einsatz, dazu gehören Computer Vision (Bild- oder Videoanalyse), die Verarbeitung natürlicher Sprache (Sprachanalyse), Robotik, virtuelle Realität und Simulation. Im Gesundheitswesen und in den Gesundheitswissenschaften ist inzwischen eine zunehmende Zahl von Anwendungen unter Einsatz von KI aufgrund ihres Nutzens und nach behördlicher Genehmigung zur klinischen Reife gelangt. Der Weltverband der Zahnärzte (FDI) legt ein umfassendes Weißbuch über künstliche Intelligenz (KI) in der Zahnmedizin vor und beschreibt darin die beispiellosen neuen Fähigkeiten der KI infolge von Fortschritten bei digitalen Daten, Hardware und Software unter Hinweis auf ihr Potenzial, die zahnmedizinische Versorgung, Ausbildung und Forschung zu revolutionieren und dabei mit der Strategie der FDI-Vision 2030 konform zu gehen, eine optimale Mundgesundheit für alle zu erreichen [2].
GELTUNGSBEREICH
Die vorliegende Stellungnahme will ein grundlegendes Verständnis von KI vermitteln und fordert den zahnmedizinischen Berufsstand einschließlich zahnmedizinischen Fachpersonals, Lehrkräften, Wissenschaftlern, Herstellern und politischer Entscheidungsträger auf, Maßnahmen zur Nutzung der Vorteile von KI zu ergreifen und dabei gleichzeitig die damit einhergehenden Risiken und Herausforderungen zu erkennen und damit umzugehen.
DEFINITIONEN
Künstliche Intelligenz (KI): Fähigkeit eines technischen Systems, Wissen und Kompetenzen zu erwerben, zu verarbeiten und anzuwenden (ISO/IEC 29119-11).
Maschinelles Lernen: Der Prozess, bei dem computergestützte Techniken eingesetzt werden, um Systeme in die Lage zu versetzen, aus Daten oder Erfahrungen zu lernen (ISO/IEC 23053)
GRUNDSÄTZE
Soll sichergestellt werden, dass dentale KI-Systeme zum Nutzen der Patienten eingesetzt werden, so ist die Berücksichtigung von Gesundheitssystemen und gesellschaftlichen Aspekten von entscheidender Bedeutung.
Dentale KI verspricht Vorteile auf mehreren Ebenen:
- Für Patienten: bessere Diagnostik und Planung der Behandlung, aktive und unterstützende Therapie und besserer Zugang zu zahnmedizinischer Versorgung durch niedrigere physische und wirtschaftliche Zugangsbarrieren.
- Für das zahnmedizinische Fachpersonal: Effizienzgewinne, höhere Diagnose- und Behandlungsqualität und effizientere Prozesse.
- Für die Gesundheitsdienste: Kostenreduzierung, Objektivierung des Behandlungsbedarfs und mehr Fairness.
Zu beachten ist, dass die dentale KI von Nutzen sein muss und richtige Ergebnisse liefert, d. h., dass sie auf qualitativ hochwertigen Daten beruhen muss, da ansonsten systematische Fehler, Leistungsabfälle aufgrund begrenzter Verallgemeinerbarkeit und schließlich Schäden die Folgen ihres Einsatzes sein können. Um Zugriff auf Qualitätsdaten zu erhalten, müssen Datenschutz und Datenverfügbarkeit in einem ausgewogenen Verhältnis zueinanderstehen, und die Harmonisierung und Austauschbarkeit von Daten müssen gestärkt werden. Ethische und soziale Aspekte einschließlich der menschlichen Autonomie, Fairness und Transparenz der KI müssen in Zukunft stärker im Mittelpunkt stehen [3]. Sicherzustellen, dass KI Ungleichheiten nicht verstärkt, sondern verringert, hat unmittelbar mit den zugrundeliegenden Trainingsdaten zu tun, die unterrepräsentierte Bevölkerungsgruppen abbilden, sowie mit der Zugänglichkeit dieser KI für alle Bevölkerungsgruppen. Darüber hinaus muss das Risiko des Automatisierungs-Bias angesprochen werden, d. h. ein übermäßiges Vertrauen der Anwender in die KI. Es fehlt zurzeit ebenfalls an Optionen, die Leistung einer KI anhand standardisierter Datensätze unter Verwendung vergleichbarer Messsysteme zu ermitteln.
STELLUNGNAHME
Der FDI Weltverband der Zahnärzte empfiehlt der zahnmedizinischen Fachwelt:
- sich Grundkenntnisse der KI anzueignen. Die Entscheidung für oder gegen den Einsatz einer KI-Anwendung sollte auf einer fundierten Grundlage und nach den Grundsätzen der evidenzbasierten Zahnmedizin getroffen werden;
- das evidenzbasierte Wissen, das eine KI-Anwendung für die orale und zahnmedizinische Versorgung unterstützt, kritisch zu bewerten einschließlich der Beurteilung des tatsächlichen Nutzens und der Anwendbarkeit in spezifischen Zielsituationen (hohe Generalisierbarkeit und geringes Bias-Risiko); dies gilt ebenso für die entstehenden Kosten für die Patienten und Kostenträger;
- KI-Anwendungen als Assistenzsysteme einzusetzen und sich gegen ein Automatisierungs-Bias abzusichern. Die Verantwortung für jede einzelne Diagnose oder Behandlung, die von einem KI-Assistenzsystem vorgeschlagen wird, verbleibt bei den menschlichen Nutzern (menschliche Autonomie).
Die FDI empfiehlt Ausbildern, Forschern, Entwicklern, politischen Entscheidern und Kostenträgern in der Zahnmedizin:
- das KI-Kerncurriculum für zahnmedizinisches Fachpersonal [4] zu nutzen, um Einfluss auf die Entwicklung von Programmen für die Undergraduate- oder Postgraduate-Ausbildung zu nehmen,
- sich an den umfassenden Aktivitäten zur Standardisierung und regulatorischen Aufsicht von KI zu beteiligen, z. B. durch die Entwicklung entsprechender ISO-Normen, um eine hohe Qualität von KI-Anwendungen zum Wohle der Patienten zu gewährleisten;
- die Unterstützung der Bewertung und Zertifizierung dentaler KI nach den Grundsätzen der evidenzbasierten Versorgung und in Anwendung vereinbarter Kriterien sowie Beteiligung an der Entwicklung von Benchmark-Modellen um sicherzustellen, dass die KI eine robuste und solide gemessene Performance für alle Bevölkerungsgruppen und Settings gewährleistet;
- einen ausgewogenen Ansatz zwischen Datenschutzbelangen und der ethischen Nutzung von Gesundheitsdaten zum Wohle der Patienten und der Gesellschaft zu entwickeln. Der Zugang zu heterogenen Daten sorgt für die Generalisierbarkeit von zahnmedizinischen KI-Anwendungen und verhindert die Diskriminierung unterrepräsentierter Gruppen bei gleichzeitiger Förderung einer gerechten Gesundheitsversorgung;
- KI-Anwendungen mit nachgewiesenem Nutzen für Patienten, Leistungserbringer, das Gesundheitssystem oder die Gesellschaft zu fördern und damit weitere Anwendungen zu motivieren;
- die praktischen Herausforderungen der Integration von KI in die zahnmedizinische Praxis zu erörtern und an der Verringerung der damit verbundenen Implementierungshindernisse zu arbeiten, die es z. B. aufgrund begrenzter Standardisierungen und fehlender Interoperabilität von Daten und Softwaresystemen gibt.
SCHLÜSSELWÖRTER
Künstliche Intelligenz, Daten, lernende Systeme, maschinelles Lernen.
DISCLAIMER
Die Informationen in dieser Stellungnahme basieren jeweils auf dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand. Sie können so ausgelegt werden, dass sie existierende kulturelle Sensibilitäten und sozioökonomische Faktoren widerspiegeln.
LITERATURHINWEISE
- Oxford Learners Dictionaries. Dictionaries. 2022.
- Schwendicke, F., et al., Artificial Intelligence for dentistry. FDI World Dental Federation. 2023. Available from : www.fdiworlddental.org/sites/default/files/2023-01/FDI%20ARTIFICIAL%20INTELLIGENCE%20WORKING%20GROUP%20WHITE%20PAPER_0.pdf
- Rokhshad, R., et al., Ethical considerations on artificial intelligence in dentistry: A framework and checklist. Journal of Dentistry, 2023; 135: 104593.
- Schwendicke, F., et al., Artificial intelligence for oral and dental healthcare: Core education curriculum. Journal of Dentistry, 2023; 128: 104363.